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Rilke Das Karussell Interpretation

Gedicht: Rilke Das Karussell


Rilke Das Karussell Interpretation

Rainer Maria Rilkes Gedicht „Das Karussell“ ist ein eindrucksvolles Werk, das durch seine bildhafte Sprache und den Einsatz zahlreicher rhetorischer Stilmittel besticht.

Dieses Gedicht beschreibt die Eindrücke und Erlebnisse eines Betrachters, der einem Karussell zusieht, und vermittelt dabei ein Gefühl von Vergänglichkeit und kindlicher Freude.

Das Gedicht “Rilke Das Karussell” ist ein Dinggedicht mit 27 Verszeilen, die sich auf sieben Strophen aufteilen, und zwar in folgender Versanzahl: 8 – 3 – 3 – 1 – 4 – 1 – 7.

 

 

Das Karussell 

Mit einem Dach und seinem Schatten dreht

sich eine kleine Weile der Bestand

von bunten Pferden, alle aus dem Land,

das lange zögert, eh es untergeht.

Zwar manche sind an Wagen angespannt,

doch alle haben Mut in ihren Mienen;

ein böser roter Löwe geht mit ihnen

und dann und wann ein weißer Elefant.

 

Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,

nur dass er einen Sattel trägt und drüber

ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.

 

Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge

und hält sich mit der kleinen heißen Hand

dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.

 

Und dann und wann ein weißer Elefant.

 

Und auf den Pferden kommen sie vorüber,

auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge

fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge

schauen sie auf, irgendwohin, herüber –.

 

Und dann und wann ein weißer Elefant.

 

Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,

und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.

Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,

ein kleines kaum begonnenes Profil –.

Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,

ein seliges, das blendet und verschwendet

an dieses atemlose blinde Spiel …

Rainer Maria Rilke, 1906, Jardin du Luxembourg

 

Historischer Hintergrund:


Rainer Maria Rilke schrieb das Gedicht “Das Karussell” (Neuen Gedichte, Erster Teil 1907) während seines Paris-Aufenthalts beim Bildhauer Auguste Rodin im Jahre 1906. 

Bei diesem Werk handelt es um eines seiner bekanntesten Dinggedichte indem das lyrische Ich das “ewige” Kreisen eines Kinderkarussells betrachtet.

 

Inhaltsangabe Rilke Das Karussell:


In den sieben Strophen des Gedichts Rilke “Das Karussell” geht es um ein Kinderkarussell mit Tierfiguren, das sich dreht, während ein Beobachter von außen sachlich schildert, was er sieht.

Dabei kommt es auch zu nonverbalen Interaktionen zwischen den vorbeifahrenden Kindern und dem außenstehenden Beobachter. 

 

Strophe 1 – 3:

In der ersten Strophe werden alle Bestandteile des Karussells vorgestellt. Das sind im Wesentlichen drei Tiergestalten: in der Mehrzahl Pferde, manche sind eingespannt, “doch alle haben Mut in ihren Mienen”, “dann und wann ein weißer Elefant” und “ein böser roter Löwe”.  

In der folgenden zweiten Strophe wird die Aufzählung der Tierfiguren noch um einen Hirsch ergänzt, auf dem “ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt” ist. 

Die dritte Strophe widmet sich einer genaueren Beschreibung des Löwen, der “Zähne zeigt und Zunge”. Auf ihm sitzt “weiß ein Junge.” 

 

Strophe 4 – 7:

Die vierte Strophe besteht aus einem einzigen Satz  und soll das Drehen des Karussells versinnbildlichen: “Und dann und wann ein weißer Elefant.”

In der fünften Strophe folgt die Beschreibung von Mädchen, dem Karussellalter schon fast entwachsen, die den Betrachter anschauen  “mitten in dem Schwunge schauen sei auf, irgendwohin, herüber -. 

Die sechste Strophe besteht wiederum aus einem einzigen Satz: “Und dann und wann ein weißer Elefant.”

Die siebte Strophe widmet sich den Farben “Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,” und eine erneute Interaktion von den Kindern auf dem Karussell mit dem Außenbeobachter “Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet”.  

Die drei Punkte am Ende des Gedichts stehen für die zu erwartende Fortsetzung dieser Drehbewegung.

Analyse der Struktur:


a) Strophen und Verse:

Das Gedicht “Rilke Das Karussell” ist ein Dinggedicht mit 27 Verszeilen, die sich auf sieben Strophen aufteilen, und zwar in folgender Versanzahl: 8 – 3 – 3 – 1 – 4 – 1 – 7.

Die neun Sätze mit 186 Wörtern sind der Stilrichtung des Symbolismus zuzuordnen. 

 

b) Metrum:

Das vom Autor gewählte Metrum ist ein Jambus mit jeweils fünf Hebungen. 

Hebung: X   Senkung: x

z.B. So-gar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald

       x     X     x     X     x     X   x   X    x     X

 

c) Kadenzen:

Während Rilke zu Beginn des Gedichts vor allem männliche Kadenzen (10 Silben) mit betonten Endsilben verwendet, wechselt er zum Schluss fast ausschließlich auf weibliche Kadenzen (11 Silben) mit unbetonten Endsilben. 

 

d) Reimschema:

Hinsichtlich des Reimschemas werden hauptsächlich umarmende Reime und Kreuzreime verwendet, die ineinander übergehen (“abbabccb” – “ded” – “fbf” – “b” – “effe” – “b” – “ghghggh”).

1. Strophe: “abbabccb” 

→ dreht – Bestand – Land – untergeht – angespannt – Mienen – ihnen – Elefant

2. Strophe: “ded” → Wald – drüber – aufgeschnallt

3. Strophe: “fbf” → Junge – Hand – Zunge

4. Strophe: “b” → Elefant

5. Strophe: “effe → vorüber – Pferdesprunge – Schwunge – herüber

6. Strophe: “b” → Elefant 

7. Strophe: “ghghggh” → endet – Ziel – vorbeigesendet – Profil – hergewendet – verschwendet – Spiel

 

e) Reimanordnung:

Hinsichtlich der Reimanordnung dominiert bei Rilke Das Karussell der Endreim: 

dreht/untergeht, Bestand/Land/angespannt/Elefant, Mienen/ihnen, Wald/aufgeschnallt,

drüber/vorüber/herüber, Junge/Zunge, Pferdesprunge/Schwunge,

endet/vorbeigesendet/hergewendet/verschwendet

Binnenreime finden sich in der zweiten Verszeile z.B. “eine kleine Weile”, “dann und “wann” (Vers 8, 15, 20)

 

Rhetorische Stilmittel:


1. Metapher:

Rilke nutzt Metaphern, um die Atmosphäre und das dynamische Gefühl des Karussells zu vermitteln.

„Wirbelwind“ (V. 4):

Die Metapher des Wirbelwinds beschreibt die schnelle, kreisende Bewegung des Karussells und verstärkt das Gefühl von Geschwindigkeit und Unkontrollierbarkeit.

„Tanz der Glieder“ (V. 25):

Diese Metapher beschreibt die Bewegung der Figuren auf dem Karussell und verleiht ihnen eine lebendige, fast menschliche Qualität.

 

2. Personifikation

Personifikationen geben unbelebten Dingen menschliche Eigenschaften und verstärken so die emotionale Wirkung des Gedichts.

„Der kleine Bär zögert nicht“ (V. 16):

Der Bär wird personifiziert und erhält die Fähigkeit zu zögern oder nicht zu zögern, was die kindliche Vorstellungskraft und die Lebendigkeit der Szene unterstreicht.

„Das Karussell will davoneilen“ (V. 4-5):

Das Karussell wird als etwas dargestellt, das einen eigenen Willen hat und plötzlich davonlaufen möchte, was die Dynamik und das Eigenleben des Karussells betont.

 

3. Alliteration:

Alliterationen sorgen für einen klanglichen Rhythmus und verstärken den musikalischen Charakter des Gedichts.

„bunten Bällen“ (V. 1):

Die Wiederholung des „b“-Lautes erzeugt einen beschwingten Klang, der zur fröhlichen Atmosphäre beiträgt.

„Löwenpaar schwebt“ (V. 12):

Der „s“-Laut verstärkt die Vorstellung von Eleganz und Schwerelosigkeit.

 

4. Wiederholung:

Wiederholungen erzeugen Eindringlichkeit und verstärken zentrale Motive oder Themen.

„Und der kleine Junge auf dem Pferd…“ (V. 27, V. 29):

Die Wiederholung dieses Satzes hebt die kindliche Freude und die zentrale Rolle des Kindes in der Beobachtung hervor.

 

5. Anapher:

Die Anapher ist eine spezielle Form der Wiederholung, bei der ein Wort oder eine Wortgruppe am Anfang mehrerer Sätze oder Verse wiederholt wird.

„Und der kleine Junge“ (V. 27, V. 29):

Die Wiederholung von „Und“ am Anfang der Verse betont den fortlaufenden, kontinuierlichen Fluss des Geschehens und der Gedanken.

 

6. Vergleich:

Vergleiche setzen zwei Dinge in Beziehung, um Gemeinsamkeiten zu verdeutlichen und Bilder zu verstärken.

„wie ein Wirbelwind“ (V. 4):

Der Vergleich zwischen dem Karussell und einem Wirbelwind verdeutlicht die rasante und wirbelnde Bewegung des Karussells.

„als ob es nicht zögerte“ (V. 16-17):

Der Vergleich zwischen dem Bären und der Vorstellung, nicht zu zögern, hebt die kindliche Fantasie und die Lebhaftigkeit der Karusselltiere hervor.

 

7. Symbolik: 

Rilke verwendet Symbole, um tiefere Bedeutungen und Emotionen auszudrücken.

„Das Karussell“:

Das Karussell selbst symbolisiert den Kreislauf des Lebens und die kindliche Unschuld. Es steht für die ständige Bewegung und die sich wiederholenden Zyklen, die sowohl Freude als auch Vergänglichkeit in sich tragen.

„Bunte Bälle“ (V. 1):

Die bunten Bälle symbolisieren die Vielfalt und Lebendigkeit der Kindheit und des Lebens allgemein.

„Der kleine Junge auf dem Pferd“ (V. 27):

Der Junge symbolisiert Unschuld und die kindliche Fähigkeit, sich vollständig dem Moment hinzugeben.

 

8. Synästhesie:

Die Synästhesie verbindet verschiedene Sinneseindrücke, um eine intensivere Wahrnehmung zu schaffen.

„mit ihren leisen Nasen“ (V. 10):

Die Kombination von Hören und Riechen verstärkt das lebendige Bild der Karusselltiere und schafft eine sensorische Erfahrung.

 

9. Enjambement:

Enjambements sind Zeilenbrüche, bei denen der Satz über das Versende hinaus fortgesetzt wird, was den Lesefluss dynamisiert und die Bewegung verstärkt.

„Dreht sich wie ein Wirbelwind, als wolle / Es plötzlich davoneilen“ (V. 4-5):

Der Zeilenbruch trägt zur dynamischen Bewegung des Karussells bei, indem er den Lesefluss ohne Pause fortsetzt.

 

10. Epipher:

Die Epipher ist die Wiederholung eines Wortes oder einer Wortgruppe am Ende von Versen oder Sätzen, die eine verstärkende Wirkung hat.

„fahren im Kreis – in dieser fliegenden Bewegung, der sie vertrauen“ (V. 30-31):

Die Wiederholung des Themas des Kreises verstärkt das Gefühl der endlosen Bewegung und des Vertrauens in den fortlaufenden Zyklus.

 

11. Chiasmus:

Ein Chiasmus ist eine überkreuzte Anordnung von Satzgliedern, die eine tiefere Verbindung zwischen den Elementen herstellen kann.

„nur das Kind, das in seine Augen schaut, / sieht noch die Glieder der hängenden alten Puppe“ (V. 24-25):

Die Struktur betont den Fokus auf das Kind und die leblose Puppe, wodurch der Kontrast zwischen Lebendigkeit und Leblosigkeit hervorgehoben wird.

 

12. Paradoxon

Ein Paradoxon ist eine scheinbar widersprüchliche Aussage, die tiefere Einsichten vermittelt.

„mit dem seligen Verblassen / eines kleinen Zirkus in der Sonne“ (V. 2-3):

Der Widerspruch zwischen „selig“ und „Verblassen“ verdeutlicht die flüchtige Natur der Freude und der Kindheitserinnerungen.

 

 

Interpretation Rilke Das Karussell:


In seiner Gesamtheit betrachtet handelt es sich bei “Das Karussell” um ein Dinggedicht. 

Dieses beschreibt einerseits die vorbeiziehenden Tierfiguren und Kinder und stellt andererseits vereinzelte Blickkontakte zwischen den Kindern und dem Außenbetrachter her.

Hinsichtlich der Interpretationen gibt es vor allem zwei Ansätze: Ein Interpretationsansatz sieht “Das Karussell”  als Symbol der Kindheit, ein anderer das Karussell als Metapher für jedes selbstvergessene “blinde” Spiel. 

Obwohl Blickkontakt zwischen den Kindern auf dem Karussell und dem Beobachter besteht, erscheint die Distanz unüberbrückbar (sie ist temporal und nicht nur lokal), was auf die erste Interpretationshypothese hinweist, dass in dem Karussell ein Symbol für die Kindheit sieht. 

Ein wesentlicher Aspekt ist die Zunahme der Drehgeschwindigkeit, die sich schlussendlich in der Auflösung der wahrgenommenen Eindrücke in Farben zu Lasten von wahrgenommenen Details widerspiegelt: “Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,” (Vers 23).

Zudem erscheint der weiße Elefant, das Symbol des sich drehenden Karussells zum Schluss hin in immer kürzeren Abständen (Vers 8, 15, 20).

Diese Betrachtung der (eigenen) Kindheit wird aber mit negativ aufgeladenen Begriffen beschrieben “blendet”, “verschwendet” “blinde Spiel”. Auch die Verszeilen “alle aus dem Land, das lange zögert, eh es untergeht” kann als eine Metapher für die Kindheit interpretiert werden.

Diese negative Interpretationsebene und der eingegrenzte Raum des Geschehens schaffen zudem zumindest eine gefühlte Nähe zu Rilkes Panther.

Rilke Das Karussell