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Bachmann Die gestundete Zeit Inhaltsangabe & Interpretation

Bachmann Die gestundete Zeit:


Wir besprechen hier folgendes Gedicht: Bachmann Die gestundete Zeit 

“Die gestundete Zeit” schildert das schmerzhafte Ende einer Liebe, die im Zwischenraum von Meer und Land landschaftlich eingebettet ist. 

Am Ende dieser Zusammenfassung findest du kostenlose Übungsblätter.

 

Gedicht Die gestundete Zeit Bachmann Interpretation

 

Die gestundete Zeit

Es kommen härtere Tage.

Die auf Widerruf gestundete Zeit

wird sichtbar am Horizont.

Bald mußt du den Schuh schnüren

und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe.

Denn die Eingeweide der Fische

sind kalt geworden im Wind.

Ärmlich brennt das Licht der Lupinen.

Dein Blick spurt im Nebel:

die auf Widerruf gestundete Zeit

wird sichtbar am Horizont.

 

Drüben versinkt dir die Geliebte im Sand,

er steigt um ihr wehendes Haar,

er fällt ihr ins Wort,

er befiehlt ihr zu schweigen,

er findet sie sterblich

und willig dem Abschied

nach jeder Umarmung.

 

Sieh dich nicht um.

Schnür deinen Schuh.

Jag die Hunde zurück.

Wirf die Fische ins Meer.

Lösch die Lupinen!

 

Es kommen härtere Tage.

Ingeborg Bachmann, Lyrikband “Die gestundete Zeit”, 1953 

  

Historischer Hintergrund:


Ingeborg Bachmann schrieb das Gedicht “Die gestundete Zeit” im Jahre 1953 und war namensgebend für ihr erstes Gedichtband. 

Sie wurde am 25. Juni 1926 in Klagenfurt (Österreich) geboren und starb am 17. Oktober 1973 in Rom. 

Bachmann gilt als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen und Prosaschriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. 

Ihr zu Ehren wird seit 1977 jährlich der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen.

Das Gedicht “Die gestundete Zeit” wurde zum ersten Mal am 12. März 1953 in der amerikanischen Zeitung “Die Neue Zeitung” veröffentlicht. 

 

Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs herrschte in der BRD und Österreich eine wirtschaftliche Aufbruchsstimmung, die mit der Terminologie “Wirtschaftswunder” bezeichnet wird. 

Will man das vorliegend Gedicht politisch interpretieren, spiegelt es die Enttäuschung über die politische und die gesellschaftliche Entwicklung in den damaligen westlichen Ländern wider. 

Statt des erhofften Neubeginns behielten die restaurativen Tendenzen die Oberhand.

Dies änderte sich erst im nächsten Jahrzehnt als die 68er-Bewegung einsetzte. 

  

Inhaltsangabe 1. und 2. Strophe:


Das Gedicht besteht aus vier Strophen, die sowohl thematisch als auch durch Verswiederholung eine Einheit bilden. 

Diese Einheit des Stimmungsbildes wird ergänzt durch die Steigerung der Intensität einer negativen Zukunftssicht, die durch einprägsame Bilder vermittelt werden. 

 

Erste Strophe:

Die erste und längste Strophe widmet sich der Endlichkeit der Zeit eines Menschenlebens. 

Die Endlichkeit der eigenen Lebenszeit wird am Horizont sichtbar und individuell erfahrbar. 

Es bleibt nur noch wenig Zeit die Schuhe zu binden.

Danach wird die Unausweichlichkeit der Situation mit Bildern der Kälte und einem Mangel an Hoffnung beschrieben.

 

Diese werden mit Tiermetaphern (“Die Eingeweide der Fische sind kalt geworden”) und Pflanzenmetaphern (“Ärmlich brennt das Licht der Lupinen”) eindrucksvoll dargestellt. 

Der Schluss der ersten Strophe umfasst wiederum die Endlichkeit der eigenen Lebenszeit am Horizont, die um eine Nebelsicht ergänzt wird. 

Die im Gedicht angesprochene Person hat aber keinen statischen Charakter, sondern wird aufgefordert zu handeln (“Schuhe schnüren” und “Hunde zurückjagen”). 

 

Zweite Strophe:

Die zweite Strophe widmet sich eindeutig der Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau. 

Und zwar wird hier eine Beziehung geschildert, die aufgrund eines ziemlichen Ungleichgewichts vor dem Ende steht. 

Vier Sätze beginnen mit “er” und alle habe eine negative Deutungshoheit (z.B. “er befiehlt ihr zu schweigen”). 

Mit dem Satz “er findet sich sterblich” wird die Einseitigkeit der Liebe dramatisch aber ohne Pathos finalisiert. 

Zudem wird hohe Fragilität und das nahende Ende der Beziehung wird mit dem Satz – “und willig dem Abschied nach jeder Umarmung” verdeutlicht. 

Inhaltsangabe 3. und 4. Strophe:


Dritte Strophe:

In der dritten Strophe sind die Verse verkürzt und werden ausnahmslos von Imperativen eingeleitet, auch wenn der Ausrufezeichen nur einmal gesetzt ist. 

Und diese Anwendung von Imperativen löst große Teile der Aussichtslosigkeit in Handlungen um, die ein Ende der derzeitigen aussichtslosen Liebesbeziehung beinhalten. 

Auch wenn es für die Frau sehr hart sein wird, ist es besser zu gehen, statt im derzeitigen Leid auszuharren. 

Es ist besser das ärmliche Licht der Lupinen zu löschen und die praktisch toten Fische ins Meer zu werfen. 

Vierte Strophe:

Die vierte Strophe besteht nur aus einem einzigen Vers, der eine Wiederholung des ersten Verses des Gedichts darstellt: “Es kommen härtere Tage”. 

  

Analyse der Struktur:


Das Gedicht “Die gestundete Zeit” besteht aus vier Strophen mit 24 Versen, die in freien Rhythmen gehalten sind. 

Die erste Strophe weist 11 Verse auf, die zweite Strophe 7 Verse, die dritte Strophe 5 Verse und die vierte Strophe einen Vers auf. 

 

Rhetorische Stilmittel:


Hinsichtlich der verwendeten rhetorischen Stilmittel überwiegen neben Wiederholungen und Imperativen vor allem Metaphern. 

Wiederholungen Verse:

Die vier reimlosen Strophen erhalten ihren Rahmen aus den Wiederholungen: 

“Es kommen härtere Tage” (Vers 1 und 24) 

“Die auf Widerruf gestundete Zeit” (Vers 2 und 10)

“wird sichtbar am Horizont” (Vers 3 und 11)

 

Lyrisches Ich, Er:

Das lyrische Ich bleibt hinsichtlich Position und Natur undefiniert, und findet im 4. Vers (“Bald mußt du den Schuh schnüren”), im 12. Vers (“Drüben versinkt dir die Geliebte im Sand”), im 20. Vers (“Sieh dich nicht um”) und im 21. Vers (“Schnür deinen Schuh”) eine Anwendung.

Stärkeres Gewicht hat das lyrische Er in der zweiten Strophe, das eine dominante und verletzende Rolle in der Mann- und Frau Beziehung ausübt. 

Anapher: 

Durch die Anapher “er” (Vers 13 bis 16) wird die Einseitigkeit der Beziehung hinsichtlich der Machtkonstellation betont. 

 

Imperativ:

Durch die Verwendung von Imperativen, die in der dritten Strophe jeden Satz einleiten, wird Handlung erzeugt (z.B. (Wirf die Fische ins Meer”).

 

Alliteration: 

Eine Alliteration findet sich im Vers 8: Ärmlich brennt das Licht der Lupinen.

 

Metaphern: 

Folgende Metaphern sind für diese Gedicht prägend: 

– “gestundete Zeit” (Vers 2 und 10) bedeutet die Unausweichlichkeit der Veränderung. Nur ein Aufschub ist noch möglich, das Ende der Liebe ist unausweichlich. 

– “Sand” (Vers 12) bedeutet Endlichkeit und kann auch mit der verfließenden Zeit einer Sanduhr in Beziehung gebracht werden. 

– “Schuhe schnüren” (Vers 4 und 20) bedeuten sich auf die Reise zu machen und den Ort des Geschehens zu verlassen. 

– “ärmliches Licht der Lupinen” (Vers 8) betonen die Vergänglichkeit und die Hoffnungslosigkeit dieser Liebe. 

Interpretation Gedicht:


Das Gedicht “Die gestundete Zeit” der österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann begründet zurecht den Ruf als einer der wichtigsten Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts. 

Die Wortwahl und Sprachgestaltung ist eindrucksvoll ohne je ins klischeehafte oder belanglose abzugleiten. 

“Die gestundete Zeit” schildert das schmerzhafte Ende einer Liebe, die im Zwischenraum von Meer und Land landschaftlich eingebettet ist. 

Die Kälte und Hoffnungslosigkeit der ersten Strophe, die Brutalität der zweiten Strophe wird aufgelöst durch Handlungsschritte in der dritten Strophe. 

 

Es kommen zwar härtere Tage, aber die Schuhe zu schnüren, nicht zurückzublicken sind weitaus besser als der Status quo. 

Gerade der Schluss der zweiten Strophe “und willig dem Abschied nach jeder Umarmung” zeigt die Hoffnungslosigkeit der einseitigen Liebesbeziehung auf. 

Die politische und gesellschaftliche Situation der Nachkriegsjahre wird vor allem durch die Rollenverteilung von Mann und Frau thematisiert, ist aber der Schilderung der gescheiterten Liebesbeziehung klar untergeordnet. 

 

Ingeborg Bachmann ist mit diesem Gedicht ein Meisterwerk gelungen, dass durch ihre Fähigkeit mit Worten Bildern zu schaffen, eindringlich und zeitenüberdauernd ist.

Dieses Gedicht erinnert an eine Zeit in der politische und persönliche Überzeugungen noch durch überdurchschnittliche (literarische) Fähigkeiten und nicht durch Empörung, Quoten und Hass vertreten wurden.  

 

PDF-Übungsblätter:


 

Hermann Hesse Stufen Inhaltsangabe & Interpretation